20 neue Arten ziehen in den Allwetterzoo Münster ein

Eine neue Art im Artenschutzcampus ist der Raso-Riesengecko (Tarentola gigas gigas). Die Art ist endemisch auf den Kapverdischen Insel und ihren Beständen nach IUCN stark gefährdet. Foto: Felix Hulbert

Es herrscht ein globaler Konsens darüber, dass der Verlust von Biodiversität und die Ausrottung ganzer Arten ökologisch, ökonomisch und gesundheitlich betrachtet, der Menschheit ihre Lebensgrundlage entziehen wird. Doch während beim Thema Artenschutz die meisten an Panda, Tiger und Co denken, sind es insbesondere Süßwasserfische, Amphibien und Schildkröten, die durch Klimawandel, Lebensraumverlust oder auch Neozoen an den Rand der Ausrottung gedrängt werden. Das geschieht weitestgehend von der Öffentlichkeit unbeobachtet. Doch das will der Allwetterzoo Münster mit seinem erweiterten Artenschutzcampus ändern.

„Das ist kein Bau-, sondern ein Meilenstein für den Artenschutz, der hier geschaffen wurde“, freut sich Zoodirektorin Dr. Simone Schehka bei der Eröffnung des neuen Artenschutzcampus. „Ich bin so stolz auf das Team, dass das alles hier in Eigenleistung umgesetzt und realisiert hat.“

Über 20 verschiedene Arten werden im neuen Teil des Campus zu erleben sein. Hier wird über die Zusammenhänge von Artenschutz und Zoos informiert. Zudem werden an einzelnen Arten exemplarisch die vielfältigen Herausforderungen zum Arterhalt erzählt. So zum Beispiel beim Mitchell´s Waran, der auch in den neuen Campus einziehen wird.

Hinter jeder Art steht eine Geschichte

Der Mitchell´s Waran lebt im Norden Australiens und ist von der Ausrottung bedroht. Im Verbreitungsgebiet dieser Warane hat sich die invasive Agakröte breit gemacht. Die Warane fressen die Kröten und sterben an deren Gift, was für einen Bestandsrückgang des Warans um mehr als 80 % - regional sogar bis zu 97% - gesorgt hat. Aber auch die Evers-Reisfische, Pityusen Eidechse, Mallorca-Geburtshelferkröte sowie Tag- und Mauergeckos und die Deserta Tarantel veranschaulichen sehr gut, mit welch komplexen Herausforderungen es der moderne Artenschutz aufzunehmen hat. Die 20 im Artenschutzcampus zu erlebenden Arten gehören zu den Tausendfüßern, Spinnen, Insekten, Fischen, Amphibien, Schildkröten und Kriechtieren. Was die meisten eint, ist dass sie in der Natur mindestens bedroht, oftmals von der Ausrottung bedroht und in mindestens einem Fall in der Natur sogar schon ausgerottet sind.

Zoos sind ein wichtiger Baustein beim Artenschutz

Das ist eine Samtschrecke (Peruphasma schultei). Die Art wurde 2004 im Norden von Peru entdeckt. Dort kommt sie natürlicherweise auf einer Fläche von nur fünf Hektar vor.

Die Vereinten Nationen erklärten den Zeitraum von 2021 bis 2030 zur UN-Dekade für die Wiederherstellung der Ökosysteme. Schädigungen der Ökosysteme sollen verhindert, beendet oder am besten sogar umgekehrt, und die Öffentlichkeit hierfür sensibilisiert werden. „Und hier kommen unter anderem wir ins Spiel“,sagt Dr. Philipp Wagner, Kurator für Forschung und Artenschutz im AllwetterzooMünster und Ideengeber für diesen Teil des Artenschutzcampus.

Zoos zählen weltweit zu den führenden Experten fürdie erfolgreiche Haltung und Zucht bedrohter Tierarten außerhalb ihres natürlichen Lebensraums. „Artenschutz wird ultimativ definiert als langfristige Bewahrung von Arten in ihrem natürlichen Lebensraum. Dies wird – wo sinnvoll – durch den komplementären Einsatz von in-situ- und ex-situ-Maßnahmen erreicht“, erklärt Wagner. Im Naturschutz sind ex-situ-Maßnahmen zur Erhaltung der Artenvielfalt solche, die außerhalb des eigentlichen Lebensraums einer Art stattfinden, beispielsweise in Botanischen und Zoologischen Gärten oder in Genbanken. In-situ-Maßnahmen finden im natürlichen Lebensraum statt, beispielsweise das Ausweisen von Schutzgebieten.

Artenschutz mit „OPA“

Die Weltnaturschutzunion IUCN unterstützt seit langem die ex-situ-Maßnahmen der Zoos für den Erhalt bedrohter Tierarten und empfiehlt die gezielte Kombination von in-situ und ex-situ-Maßnahmen. Dieser Ansatz, der „One Plan Approach“ (OPA), betrachtet die in-situ und ex-situ-Populationen bedrohter Tierarten als jeweils eine globale Population, die entsprechend gemeinsam gemanagt und geschützt werden muss.

Ein Chamäleon-Gecko. Die Art ist nur von wenigen Fundorten auf der zu Neukaledonien gehörenden Insel Grande Terre vor und wird von der IUCN als „Stark gefährdet (Endangered | EN)“ eingestuft.

Zoodirektorin Dr. Simone Schehka und Artenschutzkurator Dr. Philipp Wagner eröffnen den neuen Artenschutzcampus.

Der Großteil der zu erledigenden Arbeiten für den neuen Artenschutzcampus wurde vom gesamten Team des Allwetterzoo Münsters realisiert. Betreut wird der neue Bereich von dem Team (Bild), dass bisher auch schon für das Aquarium und IZS zuständig gewesen ist.

Die im Artenschutzcampus zu erlebenden Arten eint, dass sie in der Natur mindestens bedroht, oftmals von der Ausrottung bedroht und in mindestens einem Fall in der Natur sogar schon ausgerottet sind.

Ein Beispiel, dass diese zwingend notwendige Zusammenarbeit von in- und ex-situ-Projekten verdeutlich, ist die Rettung des Feuersalamanders. Der Allwetterzoo Münster beteiligt sich aktiv an dem Schutz dieser besonderen Amphibien, die auch in Münster, hier im Wolbecker Tiergarten, der zu den ältesten Wäldern Westfalens gehört, vorkommen. Hierfür wird im Bereich des Artenschutzcampus eine eigene Station gebaut, die sich einzig um den Schutz und die Nachzucht der Salamander kümmert. Sie soll in 2024 in Betrieb genommen werden. Möglich ist das aber nicht ohne Partner und daher arbeitet der Allwetterzoo unter anderem mit dem Tiergarten Nürnberg, dem Zoo Wuppertal und den Artenschutzorganisationen Naturschutzbund, Landesbund für Natur- und Vogelschutz und Citizen Conservation zusammen.

Die Rettung der Feuersalamander

Der Feuersalamander kommt auch im Münsterland vor. Doch der Pilz B. salamandrivorans wütet auch schon hier.

So können die Tiere aus der Natur entnommen, auf den Pilz B. salamandrivorans untersucht und in Obhut genommen, gepflegt und gezüchtet werden. Keine leichte Herausforderung. Die Sporen von B. salamandrivorans sind in der Lage, lange Zeit in Wasser und Boden zu überleben. So leben die Krankheitserreger nachweislich in Süßwassersystemen weiter, indem sie sich an Mikroplastik, eine weitere Herausforderung für Ökosysteme und ihre Bewohner, anheften.

Unterstützt werden Schutz und Nachzucht der Feuersalamander auch durch die Abfallwirtschaftsbetriebe Münster (awm). „Wir arbeiten schon viele Jahre mit dem Allwetterzoo Münster in den beiden Bereichen Artenschutz und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zusammen und haben in diesem Kontext auch schon in der Vergangenheit Patenschaften für vom Aussterben bedrohte Tiere übernommen. Dass wir jetzt dazu beitragen können, mit dem Feuersalamander eine auch in Münster heimische Tierart zu schützen, freut uns besonders. Umgekehrt wollen wir die Experten des Allwetterzoos in Zukunft noch stärker in unser Vorhaben einbinden, weitere bedrohte Tierarten auf unseren rekultivierten Deponien in Münster-Coerde anzusiedeln“, berichtet awm-Sprecherin Manuela Feldkamp.

Einzigartige Einblicke in Schildkrötenzentrum

Eine Goldkopf Scharnierschildkröte beim Schlupf im IZS.

Eine weitere Besonderheit des neuen Artenschutzcampus wird sein, dass die Besucher einen Einblick in das renommierte Internationale Zentrum für Schildkrötenschutz (IZS) erhalten. Dieser Bereich ist nur in Ausnahmen für Besucher zugänglich, da sich hier teils extrem bedrohte und vom Aussterben bedrohte Exemplare asiatischer Schildkröten befinden. So zum Beispiel die Zhous Scharnierschildkröte. Forscher gehen davon aus, dass diese Art in der Natur bereits ausgerottet wurde. Da die Art nur aus der menschlichen Obhut bekannt ist, kann nicht genau gesagt werden, welche Lebensräume bevorzugt werden. Es wird vermutet, dass diese Art in Berggebieten von Nord-Vietnam oder Laos lebte. Das IZS ist international führend in der Haltung und Zucht dieser seltenen Tiere, von denen es weltweit keine 400 Individuen mehr gibt.

Zoll-Ausstellung im Artenschutzcampus