Bereits der zweite Zuchterfolg einer vermeintlich ausgestorbenen Art

„Die meisten unserer Weibchen sind erstmals geschlechtsreif geworden und haben mittlerweile auch ihre erste Brutsaison hinter sich. Dabei ist es normal, dass viele Eier von Weibchen im ersten Jahr unfruchtbar sind oder nicht bis zum Schlüpfen überleben“, erklärt Christel Griffioen, Country Director of the Angkor Centre for Conservation of Biodiversity (ACCB). Es handelt sich hierbei um ein Artenschutzzentrum in Kambodscha in der Nähe der Tempelanlagen von Angkor Wat. Es wurde vor 20 Jahren vom Allwetterzoo Münster gegründet und gehört noch immer zu 100 Prozent zum Zoo. „Dieses Exemplar hat es jedoch geschafft und wird vorerst Teil der ex situ Population im ACCB. Die soll dazu beitragen, die Population dieser Art in der Natur zu stärken.“

Der zweite Schlupf einer Flussschildkröte im kambodschanischen Artenschutzzentrum des Allwetterzoo Münsters.

Der Nachwuchs der Südlichen Flussschildkröten entwickelt sich gut.

Schon 2. Zuchterfolg in diesem Jahr

Bereits im April 2023 schlüpfte auch schon ein Jungtier der Südlichen Flussschildkröte der Unterart Batagur affinis edwardmolli im ACCB. „Es war erst das zweite Jungtier dieser Unterart bei uns überhaupt, das in dem Erhaltungszuchtprogramm geschlüpft ist“, ist Griffioen stolz auf die Leistung ihres Teams. Die gebürtige Niederländerin merkt an, dass die Art in Kambodscha schon als ausgerottet gegolten hat. „Sie wurde dann aber im Jahr 2000 wieder entdeckt. Sie ist aber immer noch kritisch von der Ausrottung bedroht und gehört zu den 25 am stärksten bedrohten Schildkröten der Welt.“

Die in Kambodscha vorkommende Unterart der Südlichen Flussschildkröte wurde sogar erst 2009 wissenschaftlich beschrieben. Früher stand sie unter königlichem Schutz und nur die Königinmutter durfte ihre Eier sammeln. Selbst auf Reliefs der Tempelanlagen in Angkor ist die Art überliefert. Dabei kam sie nicht nur im Mekong, sondern auch im größten Süßwassersee Südostasiens, dem Tonlé Sap, vor. Mittlerweile ist die durch den Menschen kritisch von der Ausrottung bedrohte Schildkröten-Art das Nationale Reptil Kambodschas.

Eine von nur zwei Aufzuchtstationen

Als die Flussschildkröte in dem Flusssystem des Sre Ambel zur Jahrtausendwende wieder entdeckt wurde, hatten Experten umgehend Eier aus den Gelegen entnommen und in einem eigens dafür gegründeten Artenschutzzentrum bebrütet. Die aus dem Gelege geschlüpften Tiere wurden auf zwei Zentren aufgeteilt, eines davon ist das ACCB des Allwetterzoos. Lange Jahre musste gewartet werden, bis die Tiere endlich geschlechtsreif wurden. Erst in 2022 schlüpfte zum ersten Mal ein Tier in einem anderen Zuchtzentrum, dem Koh Kong Reptile Conservation Centre (KKRCC) und kurz darauf das erste Jungtier im ACCB.

Das ACCB ist nur eine von zwei Einrichtungen, die mit der Aufzucht dieser vom Aussterben bedrohten Tierart beauftragt worden ist. Foto: ACCB

Insgesamt 91 Tage nach der Eiablage schlüpfte im April dieses Jahres dann das zweite Jungtier des ACCB. „Und es ist ein sehr wertvolles, hat das Muttertier doch eine besondere Geschichte“, erzählt die Länderchefin Griffioen. „Es wird davon ausgegangen, dass das Tier während des Krieges zwischen Vietnam und dem damaligen Demokratischen Kampuchea, der Roten Khmer unter Pol Pot, von einem vietnamesischen Soldaten gekauft und dann in Vietnam als Haustier gehalten wurde.“ Das mindestens 60 Jahre alte Muttertier wurde dann 2012 nach Kambodscha zurückgebracht – und in die Obhut des ACCB übergeben. Es somit genetisch nicht mit den anderen Tieren der Erhaltungszucht verwandt und daher für die Zucht sehr wertvoll. „Das ist für uns natürlich ein riesiger Erfolg“, sagt Dr. Philipp Wagner, der für das ACCB verantwortliche Kurator im Allwetterzoo Münster, dem Träger des Artenschutzzentrums. „Nicht nur weil das Tier genetisch so wichtig ist, sondern auch, weil wir so wissen, dass unsere Haltung funktioniert.“

Trauriger Platz 20

Die Bedrohungen für die Art sind vielfältig und alle auf den Menschen zurückzuführen. Entweder sehr direkt durch das Sammeln der Tiere und Eier zu Nahrungszwecken oder indirekt durch den Verlust der Lebensräume der mit Entwaldung, Sand-Abbau und Wasserverschmutzung einhergeht. „Diese Art stirbt also nicht aus, sondern wird aktiv von uns ausgerottet“, erklärt Wagner. „Sie steht auf dem traurigen 20. Platz der am stärksten bedrohten Schildkrötenarten der Welt.“

Es wird zwischen 360 Arten mit über 200 Unterarten bei den Panzerträgern unterschieden. Die Schildkröten sind eine Gruppe der Sauropsida und erschienen erstmals vor mehr als 220 Millionen Jahren im Karnium (Obertrias). Aktuell sind dabei aber nicht weniger als 60 % aller Arten als bedroht anzusehen – je fünf Arten und Unterarten wurden bereits ausgerottet. „Es in die Top 25 zu schaffen ist damit quasi ein „Kunststück“. Insbesondere wenn bedacht wird.“ Der Allwetterzoo hat daher in seinen Artenschutzzentren einen besonderen Fokus auf Schildkröten gelegt und hält und züchtet zahlreiche der bedrohten asiatischen Arten. Neben dem ACCB in Kambodscha zählt dazu auch das Internationale Zentrum für Schildkrötenschutz (IZS) auf dem Gelände des Allwetterzoo Münsters.