Keine Sau interessiert sich für bedrohte Schweine?

Ein Visayas-Pustelschwein, das Zootier des Jahres 2022. Foto: Viktoria Michel

Während der „Zootier des Jahres“-Kampagne 2022 werden Spenden gesammelt, um schnellstmöglich Maßnahmen zum Schutz der bedrohten Pustelschweinarten zu unterstützen. So soll etwa auf der indonesischen Insel Java in einer Erhaltungszuchtstation eine Reservepopulation von Bawean-Pustelschweinen aufgebaut werden. Auch für die inzwischen seltenen Java-Pustelschweine und das von der Ausrottung bedrohte philippinische Visayas-Pustelschwein gibt es bereits Schutzkonzepte, deren zeitnahe Umsetzung durch die „Zootier des Jahres“-Artenschutzkampagne ermöglicht werden sollen.

Viele wild lebende südostasiatische Schweinearten sind durch den Verlust ihres Lebensraumes bedroht, welcher durch illegalen Holzeinschlag, kommerziellen Kahlschlag und der Ausbreitung von Menschen genutzter Flächen, verursacht wird. Ihre Restbestände sind daher in räumlich getrennte Populationen zersplittert. Die Hybridisierung, also die genetische Vermischung mit freilebenden oder verwilderten domestizierten Schweinen sowie eurasischen Wildschweinen, stellt ein weiteres Problem dar. Zudem werden die Schweine stark bejagt, zum einen, weil sie in

einigen Regionen als bevorzugte Nahrungsquelle dienen und ihr Fleisch auf dem Markt oft einen höheren Preis als das der Hausschweine erzielt und zum anderen, weil sie vor allem durch Lebensraumverlust Ernteschäden verursachen.

Auch wenn der Allwetterzoo Münster die Pustelschweine nicht vor Ort hält, unterstützt er dennoch gerne die Aktion. „Wir freuen uns, einen Beitrag zum Schutz der hoch bedrohten Pustelschweine leisten zu können. Ziel der Kampagne ist es ja, die eher unbekannten Arten in den Vordergrund zu rücken. Aus diesem Grund ist der Allwetterzoo auch Platinförderer der „Zootier des Jahres“-Artenschutzkampagne“, freut sich Dr. Philipp Wagner, Kurator für Forschung und Artenschutz im Allwetterzoo Münster. „Mit unserem Artenschutzzentrum in Kambodscha (ACCB) und dem IZS hier in Münster haben wir ja ohnehin einen Asien-Schwerpunkt in unseren Artenschutzprogrammen und freuen uns daher, dass die Wahl auf die asiatischen Pustelschweine gefallen ist.“

Aktuell kommt noch eine weitere große Bedrohung für die Pustelschweine hinzu - die „Afrikanische Schweinepest“. Hierbei handelt es sich um eine hochansteckende Viruserkrankung, die in den meisten Fällen tödlich für die befallenen Schweine verläuft. Für Menschen ist das Virus ungefährlich. Während die Infektionskrankheit für die Fleischindustrie zu immensen Verlusten führt, kann die Seuche insbesondere für Pustelschweinarten, die nur in sehr begrenzten Gebieten, etwa auf kleineren Inseln leben, zur kompletten Ausrottung des Bestandes führen.

„Gerade ASP zeigt, wie kompliziert Artenschutz sein kann. Gefährdet diese Seuche ja nicht nur die natürlichen Populationen, sondern auch die in menschlicher Obhut. Hier wird werden die großen Probleme des Artenschutzes deutlich. So wird für die Bekämpfung der ASP sehr schnell, fast schon automatisch, viele Gelder eingesetzt, geht es doch um wirtschaftlich relevante Nutztiere“, so Philipp Wagner. „Seuchenbedrohungen, die lediglich Wildtiere betreffen werden hingegen kaum beachtet. Dabei gefährden mit Bsal und der Krebspest gleich zwei Erreger heimische Arten. Daher freuen wir uns, dass mit der Wahl des Pustelschweins auch auf diese Problematik aufmerksam gemacht wird.“

Afrikanischen Schweinepest ist auch für Zoos eine Herausforderung

Neben der Umsetzung von direkten Schutzmaßnahmen in den Ursprungsgebieten der Pustelschweine, möchte die „Zootier des Jahres“-Kampagne 2022 allerdings auch auf die prekäre Lage von Schweinen in europäischen Zoos aufmerksam machen. Schon jetzt ist die Situation in zoologischen Gärten durch die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest angespannt. In einigen Zoos wurde bereits eine langfristige Stallpflicht für Schweine angeordnet. Manche Zoos sehen sich damit konfrontiert, auf die Nachzucht sogar seltenster Schweinearten zu verzichten, weil vor dem Hintergrund tierseuchenrechtlicher Auflagen, die zunächst nicht zwischen Nutztieren und bedrohten Schweinearten unterscheiden, eine langfristige Haltung in zoologischen Gärten gegebenenfalls nicht mehr gewährleistet werden kann. „Wir müssen mit den Behörden, Wissenschaftlern und Entscheidungsträgern unbedingt zeitnah zusammen nach praktikablen Lösungen suchen, damit die für die Arterhaltung so wertvollen und unwiederbringlichen Zuchtbestände keinen radikalen Maßnahmen zum Opfer fallen“, sagt Tierärztin Dr. Viktoria Michel, Projektkoordinatorin der „Zootier des Jahres“-Kampagne.

Visayas-Pustelschweine im Tierpark Hellabrunn, Fotos: Daniela Hier

„Zootier des Jahres“-Artenschutzkampagne gibt es seit 2016

Auch Dr. Johanna Rode-Margono, Vorsitzende der Schweineexpertengruppe der Weltnaturschutzunion IUCN betont: „Durch immer kleiner werdende, akut bedrohte Populationen in der freien Wildbahn wird die Arterhaltung von Wildtieren in Menschenobhut immer wichtiger. Angesichts sehr ansteckender Krankheiten wie der afrikanischen Schweinepest müssen wir rechtzeitig tragfähige, gesunde Populationen an Pustelschweinen aufbauen, die im Falle einer Ausrottung in den natürlichen Lebensräumen als Arche oder zur Aufstockung dienen können.“

Aus der Sicht mancher Menschen sind Pustelschweine nicht unbedingt Schönheiten. Ihren Namen verdanken sie drei Paar warzen- oder pustelartigen Schwellungen im Gesicht, die bei älteren Ebern zum sehr prägnanten Aussehen beitragen. In Gebieten, in denen wilde Schweinearten natürlicherweise vorkommen, sind diese großen, allesfressenden Landschaftsingenieure ökologische Schlüsselarten. Durch ihr Fress- und Wühlverhalten, aber auch als Beutetiere für andere bedrohte Arten und Ernährungsgrundlage indigener Völker, haben Schweine wesentliche Funktionen in großen und kleinen Ökosystemen.

Die „Zootier des Jahres“-Artenschutzkampagne wurde 2016 mit dem Ziel ins Leben gerufen, sich für gefährdete Tierarten einzusetzen, deren Bedrohung bisher nicht oder kaum im Blick der Öffentlichkeit steht. So werden für den Titel „Zootier des Jahres“ Tierarten ausgewählt, die teils kurz vor der Ausrottung stehen, jedoch bisher keine oder eine nur sehr geringe Lobby haben und auch oft nicht im Fokus anderer Naturschutzorganisationen stehen.

Vier im Artenschutz sehr aktive Partner bündeln daher ihre Kräfte. Zusammen mit der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz e.V., arbeiten die Einrichtungen und Mitglieder der Deutschen Tierpark-Gesellschaft e.V., des Verbandes der Zoologischen Gärten e.V.  und der Gemeinschaft der Zooförderer e.V.  im Rahmen der Kampagnen eng zusammen.