Die erste weltweite Analyse der Bedrohung aller „Reptilien“-Arten

Ein Viertel aller Echsen- und Schlangenarten und fast zwei Drittel aller Schildkröten und Krokodile sind von der Ausrottung bedroht

Gelbkopfschildkröte Indotestudo elongata. Eine ehemals in Asien stark gehandelte Schildkrötenart deren Bestände durch diesen Handel so stark eingebrochen sind, dass sie heute als kritisch von der Ausrottung bedroht gilt. Photo: Philipp Wagner, ACCB, Allwetterzoo

Die Gruppe der Schildkröten, Krokodile, Echsen (inklusive der Schlangen) und Brückenechsen, oftmals als Reptilien bezeichnet, ist die artenreichste Gruppe unter den Landwirbeltieren. Erstmals wurden diese umfassend (10196 von mindestens 11690 Arten) mit Hinblick auf ihre Bedrohung untersucht und die Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature publiziert. Insgesamt sind Daten von über 900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in die Studie eingeflossen, die im Rahmen der Bewertungen der globalen Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN - International Union for Conservation of Nature) zusammengetragen wurden. Das Ergebnis ist, dass 21 Prozent aller erfassten Arten als bedroht gelten müssen.

„Man muss die Gefährdungsursachen differenziert sehen“, ergänzt Dr. Philipp Wagner, Kurator für Forschung und Artenschutz am Allwetterzoo in Münster und Ko-Autor, „denn einzelne Gruppen innerhalb dieser Reptilien, sind deutlich stärker bedroht als andere. Die Studie zeigt nämlich auch, dass 58 Prozent aller Schildkrötenarten und 50 Prozent aller Krokodilarten von der Ausrottung bedroht sind – und zwar nicht etwa an erster Stelle durch Lebensraumverlust, sondern vor allem durch die illegale Jagd und Handel.“ Zusammen mit den Amphibien gehören diese beiden Gruppen so zu den am stärksten bedrohten Landwirbeltieren weltweit.

Einer der Hauptgründe ist aber insgesamt die immer weiter voranschreitende Zerstörung und Veränderung von Habitaten. „Es ist deshalb besonders wichtig nach Lösungen zu suchen intakte Lebensräume, insbesondere Wälder, in ihrem natürlichen Zustand zu erhalten oder, falls möglich, allenfalls nachhaltig zu nutzen“, betont Dr. Mark-Oliver Rödel vom Museum für Naturkunde Berlin, und ebenfalls Ko-Autor der Studie. Das belegt auch die Studie, die zeigt, dass 30 Prozent der Reptilien, die in Wäldern vorkommen bedroht sind und „nur“ 14 Prozent der Arten in Trockengebieten.

Zhous Scharnierschildkröte Cuora zhoui (Männchen). Eine Asiatische Schildkrötenart, die bisher nur aus dem Handel bekannt ist und noch nie von Biologen in der Natur gefunden wurde. Wahrscheinlich ist sie mittlerweile in der Natur ausgestorben. Photo: Christian Langner, Allwetterzoo

Die Tonlé Sap Wassernatter Enhydris longicauda. Eine rein aquatische Schlange die nur im See Tonlé Sap in Kambodscha vorkommt. Die IUCN hat sie zuletzt 2009 als gefährdet eingestuft. Da aber jährlich viele Tonnen Wasserschlangen aus dem See gefischt und gehandelt werden, muss man mittlerweile davon ausgehen, dass diese Art weitaus stärker bedroht ist. Photo: Philipp Wagner ACCB, Allwetterzoo

Die Kreuzotter war früher in Deutschland weit verbreitet. Heute findet man sie nur noch verstreut in Restpopulationen. Neben Lebensraumzerstörung und dem Töten von Tieren, leidet sie heute auch unter dem Klimawandel und invasiven Räubern. Beides führt zu einer Verringerung der Beutetiere, insbesondere für junge Kreuzottern. Photo: Mark-Oliver Rödel, Museum für Naturkunde Berlin

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass für 1500 der insgesamt 10196 Arten nicht genügend Daten vorliegen, um sie aus Sicht des Artenschutzes bewerten zu können. Da es sich dabei meist um Arten mit einem kleinen Verbreitungsgebiet handelt, kann man davon ausgehen, dass die meisten von ihnen ebenfalls stark bedroht sind. „So ist leider davon auszugehen, dass die Bewertungen, wie sie in der Studie vorgenommen wurden, in der Regel sehr konservativ sind. Das heißt, man unterschätzt den Bedrohungsgrad für viele Arten und oftmals erkennt man zu spät, wie schlecht es um viele Arten steht, vor allem bei den Reptilien“, ergänzt Ko-Autor Dr. Johannes Penner, Kurator für Forschung und Zoologie bei Frogs and Friends, und meint: „Es muss daher noch viel getan werden, um dem Verlust der Biodiversität Einhalt zu gebieten“.

Gemeinsam für den Artenschutz

Der Allwetterzoo in Münster hat sich dem Artenschutz verschrieben und trägt in Kooperation mit der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP) und der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) das Internationale Zentrum für Schildkrötenschutz (IZS). Hier züchtet man zusammen mit Privathaltern kritisch von der Ausrottung bedrohte asiatische Schildkrötenarten. Zudem verantwortet der Allwetterzoo das Angkor Centre for Conservation of Biodiversity (ACCB) in Kambodscha, das ebenfalls einen Schwerpunkt in der Haltung, Zucht und Auswilderung kritisch bedrohter Schildkröten hat. Zusätzlich engagiert sich der Allwetterzoo im Artenschutzprojekt Citizen Conservation.

Geografische Verbreitung bedrohter „Reptilien“ (=Schildkröten, Krokodile, Echsen (inkl. Schlangen), Brückenechsen). Reptilienarten gelten als bedroht, wenn sie von der Roten Liste bedrohter Arten der IUCN™ als gefährdet, gefährdet oder vom Aussterben bedroht eingestuft werden. Der Artenreichtum bezieht sich auf die Anzahl verschiedener Arten, die in einem Gebiet vorkommen. Wärmere (rötere) Farben weisen auf eine größere Anzahl bedrohter Reptilienarten hin.

Citizen Conservation ist ein gemeinschaftliches Produkt von Frogs and Friends, der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) und des Verbands der zoologischen Gärten (VdZ). Ziel ist es sich mit koordinierten Erhaltungszuchtprogrammen dem Artensterben und damit dem Rückgang der Biodiversität entgegenzustemmen. Dabei arbeiten Bürgerinnen und Bürger mit professionellen Institutionen Hand in Hand, um Wissen zu bedrohten Arten zu generieren und zu sammeln, bestehende Kapazitäten zum Artenschutz auszubauen und Reserven zu schaffen, damit Arten langfristig erhalten werden können.

Am Museum für Naturkunde Berlin wird untersucht inwieweit sich Lebensraumveränderungen auf Arten und Artengemeinschaften auswirken, sowohl im Laufe der Erdgeschichte als auch derzeit in Folge menschlicher Aktivitäten. Unter andrem wird beispielweise erforscht, ob die selektive Nutzung von Tropenholz nachhaltig möglich ist und ob beziehungsweise, wie lange es dauert, bis sich Regenwaldgemeinschaften wieder regenerieren.

Link zur Studie: DOI:10.1038/s41586-022-04664-7

Chamäleons wie dieses Zwergchamäleon, Palleon nasus, aus den Regenwäldern Westmadagaskars, leiden besonders unter der Zerstörung ihrer Lebensräume, aber auch unter dem illegalen Tierhandel. Photo: Mark-Oliver Rödel, Museum für Naturkunde Berlin

Der Skink Trachylepis keroanensis war der Wissenschaft lange Zeit nur von sehr wenigen Museumsexemplaren bekannt. Inzwischen weiß man, wie diese Art lebend aussieht und dass sie in den Savannen Guineas und Mali vorkommt. Arg viel mehr weiß man leider nicht, weshalb die Art auf der Roten Liste der ICUN als „Data Deficient“ (ungenügende Datengrundlage) eingestuft wird. Photo: Johannes Penner, Frogs and Friends e.V.

Von der westafrikanischen Haarigen Buschviper Atheris hirsuta wurden bisher nur mit zwei Männchen, eines in der Elfenbeinküste und eines in Liberia, gefunden. Wie die Weibchen aussehen, ist unbekannt, genauso wie die Lebensweise dieser Art, weshalb sie ebenfalls als „Data Deficient“ (ungenügende Datengrundlage) eingestuft wird. Photo: Johannes Penner, Frogs and Friends e.V.