„Wir stehen mitten im
6. grossen Artensterben“

Die auf dem Foto zu sehende Tempelschildkröte (Heosemys annandalii) wurde in der neuen Roten Liste der IUCN um eine Stufe von „Endangered“ auf „Critically Endangered“ hochgestuft.

Die Weltnaturschutzorganisation IUCN hat ihre Rote Liste aktualisiert. Sie umfasst nun rund 140.000 Arten von denen 40.000 als bedroht eingestuft werden. Einige Arten haben sich zwar erholt und wurden herabgestuft, vor allem aber die Schildkröten und Geckos sind bei dieser Aktualisierung von höher Stufungen betroffen. Dies betrifft auch die Arbeit des Allwetterzoo Münster, der in seinem kambodschanischen Artenschutzzentrum vor allem die kritisch bedrohten Schildkröten hält.

Nach den Angaben der IUCN sind rund 28 Prozent der 138.000 erfassten Arten bedroht. „Zwar haben sich einzelne Arten wie der Blauflossenthunfisch in der letzten Zeit erholt und wurden im Gefährdungsgrad herabgestuft“, führt Dr. Philipp Wagner, Kurator

für Forschung und Artenschutz am Allwetterzoo Münster aus, „aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir mitten im sechsten großen Artensterben der Erdgeschichte stehen.“

ACCB und IZS

Gerade Artengruppen, die vom Menschen genutzt werden, sind immer stärker bedroht. Dazu zählen unter anderem die Haie und Rochen, von denen nun mehr als ein Drittel als bedroht angesehen werden. Noch schlimmer sieht es bei den Schildkrötenarten aus. Über 60 Prozent der Arten sind bedroht und auch bei der aktualisierten Roten Liste sind es vor allem sie, die in der Bedrohung höher eingestuft worden. „Das betrifft natürlich auch unsere Arbeit. Denn mit dem Internationalen Zentrum für Schildkrötenschutz (IZS) und dem Angkor Centre for Conservation of Biodiversity (ACCB) betreiben wir zwei Artenschutzzentren, die sich auf Schildkröten fokussiert haben. Im IZS halten wir bereits nur kritisch bedrohte Arten. Aber zwei der Arten im ACCB wurden in der neuen Roten Liste der IUCN nun in diese Kategorie hoch gestuft: die Tempelschildkröte (Heosemys annandalii) wurde um eine Stufe von „Endangered“ auf „Critically Endangered“, ihre nahe Verwandte die Riesenerdschildkröte (Heosemys grandis) sogar um zwei Stufen von „Vulnerable“ auf „Critically Endangered“ hochgestuft.“

Zwar wurde gleichzeitig der Malaiische Schneckenfresser (Malayemys subtrijuga) herabgestuft, das kann Wagner aber nicht nachvollziehen: „Sicherlich ist der Schneckenfresser im Vergleich zu anderen Arten noch häufig und kommt auch in landwirtschaftlich genutzten Flächen vorher, dennoch gehen die Bestände in Kambodscha zurück. Damit ist auch er eine Art, die wir im Fokus behalten müssen.“

Ein klarer Arbeitsauftrag

Die aktualisierte Rote Liste versteht das Team vom Allwetterzoo Münster als einen Arbeitsauftrag, der auch an sie gerichtet worden ist. „Wir müssen unsere Zuchtbemühungen nicht nur verstärken, sondern auch ausbauen“, sagt Wagner. „Bisher sind wir bei den Schildkröten als Zoo in der Größe limitiert, weil es schwer ist Zuchtanlagen für die großwerdende Arten zu betreiben – gerade hier finden sich aber viele stark bedrohte Arten. Neben der Südlichen Flussschildkröte, die wir bereits im ACCB halten, sind es vor allem die Riesenweichschildkröte Pelochelys cantorii, die uns in Kambodscha schon länger sorgen macht und jetzt auch von der IUCN um eine Stufe von „Endangered“ auf „Critically Endangered“ hochgestuft wurde.“

Hier müssen sich die Zoos für die Zukunft so aufstellen, dass auch diese großen Schildkrötenarten ihre Chance auf Erhaltungszuchten bekommen. „Auch wenn wir uns zusammen mit Partnern in den Lebensräumen für diese Arten einsetzen, so brauchen wir doch das Backup der Erhaltungszucht, denn der Lebensraumverlust und Konsum von Schildkröten sind zwar die stärksten Bedrohungen, aber nun kommt durch den Klimawandel und das Austrocknen der Gewässer noch eine Bedrohung hinzu.“