Allwetterzoo Münster kämpft für die letzten einer Art

Ein Goldkopfschildkröte schlüpft im IZS.

Der Allwetterzoo betreibt gleich zwei Artenschutzzentren. Beide eint, dass sie einen Fokus auf einer der global am stärksten bedrohten Wirbeltiergruppen haben: Schildkröten. „Seit rund 20 Jahren kennen wir die asiatische Schildkrötenkrise“, erklärt Dr. Philipp Wagner, Kurator für Forschung & Artenschutz am Allwetterzoo. „Aber wir kommen nicht dagegen an. Schildkröten stehen viel zu oft nicht im Zentrum von Artenschutzprojekten. Wir schauen gerade dabei zu, wie wir eine ganze Tiergruppe verlieren, die seit über 200 Millionen Jahren existiert.“

In Asien kommen bei den Schildkröten viele, wenn

nicht alle, Probleme und Herausforderungen im Artenschutz zum Tragen. Sie werden direkt konsumiert, seltene Arten oft als Delikatesse, oder zu Medizin verarbeitet. Zudem schrumpfen ihre Lebensräume. Gerade Wasserschildkröten leiden unter der Entwässerung von Flächen, die zu Agrarland umgeformt werden. Sandbänke, wichtig zur Eiablage und damit für den Artbestand, werden in großem Stil abgebaggert. Das der marktwirtschaftliche Wert von Sand immer weiter steigt, beschleunigt diesen Prozess sogar. „Dies alles führte in der Vergangenheit zu drastischen Einbrüchen bei den Populationen in Asien. Das wiederum hat einen immer stärkeren, oftmals kriminell organisierten, globalen Handel mit Schildkröten zur Folge. Es sind mehr als 10.000 Individuen, die jedes Jahr beschlagnahmt werden. Und das sind nur die illegalen Sendungen, die entdeckt worden sind. Die Dunkelziffer und damit der eigentliche Schaden an den Tierpopulationen sowie den Folgeschäden an in den Ökosystemen dürfte sehr viel höher“, sagt Wagner. Allein in Südostasien stünden mittlerweile 24 Arten kurz vor der Ausrottung. „Und das sind nicht mal Arten mit nur kleinen Verbreitungsgebieten. Ein gutes Beispiel ist hier die Gelbkopfschildkröte. Sie ist praktisch von Indien bis Südostasien verbreitet. Sie galt als eine der am stärksten gehandelten Schildkrötenarten. Mittlerweile ist sie von der internationalen Naturschutzorganisation IUCN als Critically Endangered eingestuft wurde – das ist die letzte Stufe vor ausgestorben.“

IZS - Artenschutz in Münster

Mit dem Internationalen Zentrum für Schildkrötenschutz (IZS) widmet sich der Allwetterzoo, zusammen mit seinen Partnern, der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP) sowie der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunden (DGHT), genau diesem Thema. Im IZS werden nur kritisch bedrohte Schildkrötenarten aus Asien gehalten und gezüchtet. „Mindestens eine Art konnte durch das Zentrum in Münster vor der Ausrottung bewahrt werden. Mehrere andere Arten wurden schon seit Jahren nicht mehr auf asiatischen Schildkrötenmärkten gefunden. Wir müssen daher davon ausgehen, dass sie in der Natur wahrscheinlich bereits ausgestorben sind. Auch wenn ich persönlich den Begriff Arche nicht mag, ist das IZS maßgeblich daran beteiligt, diesen Arten das Überleben zu sichern“, erklärt Wagner.

Eine solche Aufgabe gelingt nur im Team, oder in diesem Fall in einem gut funktionierenden Netzwerk. Dabei müssen es nicht gleich Institutionen wie der Allwetterzoo sein, die den Unterschied machen. Vielmehr sind es die Privathalter, die auch vom IZS Schildkröten zur Aufzucht übernehmen oder selbst eine Zucht aufbauen. „Daran ist schön zu erkennen, wie wichtig Privathalter im Artenschutz sein können“, führt Wagner aus. Er bemängelt aber: „Schade ist nur, dass es sie sind, die gleichzeitig durch immer stärkere Regularien bei dieser Aufgabe eingeschränkt werden.“

Unser Zentrum in Kambodscha

Im Angkor Centre for Conservation of Biodiversity (ACCB), dem Artenschutzzentrum des Allwetterzoo in Kambodscha, liegt ebenfalls ein Schwerpunkt auf den Schildkröten. „Wir halten und züchten hier quasi alle in Kambodscha gefährdeten Schildkrötenarten“, sagt Wagner, „und einige so gut, dass wir bereits an erste Auswilderungsprogramme denken können.“ Bis eine Auswilderung aber wirklich zur Debatte steht, ist es immer ein weiter Weg – nicht nur bei Schildkröten. Denn solche Programme sind nicht so leicht umzusetzen, wie oftmals in der Öffentlichkeit gewünscht. So muss in einem ersten Schritt ein geeigneter Lebensraum gefunden werden. Der liegt optimaler Weise in einem Schutzgebiet. „Wir müssen sicherstellen, dass das Schutzgebiet ausreichend geschützt ist, das entsprechende Nahrungspflanzen oder Beutetiere vorkommen, dass wir keine Krankheitserreger einschleppen und ob dort noch Schildkröten derselben Art vorkommen. Dann muss die umliegende Bevölkerung mit eingebunden und geschult werden, um sie für die Bedrohung zu sensibilisieren. Und dann, erst dann irgendwann kann daran gedacht werden, Tiere wieder auszuwildern.“ Ein langer Weg, den das Team des Allwetterzoos aber gerne geht.

Zoos verstärken Artenschutzengagement deutlich

Auch der VdZ, der Verband der Zoologischen Gärten begeht diesen wichtigen Tag:

Die wissenschaftlich geleiteten Zoos haben ihr Artenschutzengagement deutlich verstärkt. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die der Verband der Zoologischen Gärten mit seinen Mitgliedern unternommen hat. Demnach unterstützen die Zoos  Artenschutzprojekte für wild lebende bedrohte Tierarten und ihre Lebensräume in insgesamt 170 Projekten und 61 Ländern. Alle Ergebnisse kann man in der neuen Broschüre nachlesen, die der Verband zum morgigen Internationalen Tag der biologischen Vielfalt herausgibt.

„Wir freuen uns sehr, dass unser Beitrag zum Erhalt bedrohter Tierarten in unseren Zoos und der Wildnis derartig groß ist“´, sagt Volker Homes, Geschäftsführer des Verbandes der Zoologischen Gärten (VdZ). „Damit reihen wir uns in die Gemeinschaft der großen Naturschutzorganisationen ein.“ So führt die neue Broschüre „Artenschutzzentrum Zoo“ etliche Arten auf, die nur in Zoos überleben konnten. Dazu zählen unter anderem die Säbelantilope, der Miluhirsch und die Socorrotaube. Ohne die Haltung in menschlicher Obhut wären sie genau wie der Europäische Wisent längst für immer von der Erde verschwunden.

Erfreulich ist auch die Anzahl der zuletzt ausgewilderten Tiere. In den Jahren 2018 und 2019 gingen aus den Zoos des Verbandes mehr als 3.500 Tiere in die Wildnis; zumeist einheimische Arten wie der Europäische Feldhamster und die Europäische Sumpfschildkröte. „Auswilderung kommt zur Anwendung, wenn andere Maßnahmen zur Stabilisierung der jeweiligen Population nicht mehr rechtzeitig wirken“, sagt die stellvertretende VdZ-Geschäftsführerin Dr. Julia Kögler. „Wichtig ist, dass sie nur unternommen werden kann, wenn gesicherte Lebensräume für die Tiere zur Verfügung stehen. Die sind aber leider nur noch begrenzt verfügbar.“

Durch ihre Kernaufgabe, die Pflege und Zucht bedrohter Arten, stellen die 71 VdZ-Zoos tragende Säulen der Europäischen Erhaltungszuchtprogramme dar. Mehr als 400 bedrohte Arten profitieren von der Arbeit der VdZ-Zoos. Besonderen Wert haben, wie die neue Broschüre verdeutlicht, dabei auch Bildungsprogramme und die Forschung an bedrohten Arten. Denn nur wenn klar ist, wie sich bestimmte Arten vermehren und die Menschen durch Aufklärung im Zoo ihr Verhalten ändern, dann wird sich die Lebensvielfalt auch künftig erhalten lassen.

VdZ Artenschutzbroschüre